17.01.2023 | Compliance für Start-Up´s – Sinn oder Unsinn?


von Uwe Schmidt, Rechtsanwalt, Spezialist für Unternehmungsgründung und Unternehmenstransaktionen

Für Gründerinnen und Gründer stehen die Geschäftsideen und das Arbeiten an den Produkten und/oder Dienstleistungen, mit denen der Markt erobert werden soll, naturgemäß im Vordergrund. Der geschäftliche Erfolg und auch das persönliche Schicksal, soweit es das Business betrifft, stehen und fallen mit der Hauptsache, dem Produkt. Es ist richtig, dass sich das Hauptaugenmerk von Gründerinnen und Gründern darauf richtet, ohne Frage.

Stellen sich erste Erfolge ein, geht es an die Aufwärtsskalierung. Die Organisation wird größer, die Mitarbeiteranzahl steigt, Geschäftsgeheimnisse und Know-how sind vorhanden und die Anzahl von Kunden und Lieferanten steigt.

Und genau an dieser Stelle - nach den ersten Skalierungen nach oben - merken Gründerinnen und Gründer oftmals, dass ganz am Anfang das ein oder andere Thema nicht die Beachtung erhalten hat, die sinnvoll gewesen wäre. Es geht dabei um Unternehmensführung, Organisation und Regeleinhaltung. Neudeutsch: Corporate Governance und Compliance.

Unsere Erfahrung zeigt, dass unternehmerischer Erfolg zwar auch von der Geschäftsidee und der Qualität von Produkt und Dienstleistung, insbesondere Neuigkeit und Kreativität, abhängt. Der wichtigste Faktor ist aber der Organisationsgrad, den die Gründerinnen und Gründer ihrer Unternehmung angedeihen lassen.

Anders formuliert: Je besser die Organisation, desto erfolgreicher das Unternehmen.

Jedes Start-Up sollte sich deshalb frühzeitig über Corporate Governance und Compliance Gedanken machen. Die Skalierung der Idee und die spätere Ausweitung der Unternehmung sollte von Beginn an fest im Blick und Gegenstand der ersten Handlungen sein. Ist das Unternehmen der Kinderstube entwachsen, ist es sehr aufwendig, Compliance und Werte in die bestehenden Unternehmensstrukturen zu etablieren. Change-Management ist eine eigene Kategorie mit besonderen Herausforderungen. Noch schwieriger wird es, wenn aufgrund Unkenntnis oder nicht ausreichender Unternehmensorganisation es zu Schadensfällen kommt, die dann das Start-Up insgesamt gefährden oder zumindest einen Rückschlag in der Entwicklung begründen.

Ein paar Beispiele:

Fall 1:
Bei der Vorstellung eines Pitch gegenüber einem Konzern verzichtet das Start-Up auf eine Geheimhaltungsvereinbarung (NDA) oder lässt sich von dem Konzern eine (unzureichende) vorlegen, die beide Seiten unterzeichnen. Man kommt nicht zusammen. Wenig später benutzt der Konzern die Idee und entwickelt mit weitaus größeren Ressourcen das Produkt. Das Start-Up ist damit gestorben. So geschehen beispielsweise in Deutschland in der Kosmetikindustrie.

Fall 2:
Ein Start-Up entscheidet sich, mit freien Mitarbeitern zusammen zu arbeiten. Die Kosten sind anfangs überschaubar, die Vergütung nur bei Bedarf zu entrichten. Eine Handvoll freier Mitarbeiter wird Stück für Stück immer häufiger gebucht und faktisch immer stärker in die betrieblichen Abläufe integriert, verfügt über eigene E-Mail-Adressen des Unternehmens, einen Arbeitsplatz und es werden Urlaubsanträge eingereicht. Entweder die Außenprüfung oder ein abgewanderter freier Mitarbeiter machen die Sache publik. Es wird festgestellt, dass in Wirklichkeit eine abhängige Beschäftigung aller freien Mitarbeiter vorlag. Die Auswirkungen: Ein Strafverfahren gegen die Geschäftsführer wegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). Für mehr als drei Jahre sind die Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsträger nachzuzahlen, was schnell einmal fünfstellige Beträge sein können. Zudem bestehen nun unbefristete Arbeitsverträge mit allen „freien Mitarbeitern.“ Der Schaden lässt sich nicht dadurch abwenden, dass es sich um ordnungsgemäße Formularverträge für freie Mitarbeiter handele. Entscheidend ist nicht, was niedergeschrieben wurde, sondern allein die Faktizität: Besteht Freiheit oder persönliche Abhängigkeit des sogenannten freien Mitarbeiters? Dies ist das alleinige Unterscheidungskriterium.

Fall 3:
Die Gründerinnen und Gründer entscheiden sich, das Unternehmen nach erfolgreicher Etablierung an einen Konzern zu veräußern. Die Due Diligence des Konzerns verläuft erfolgreich, der Kaufvertrag wird unterschrieben, der Kaufpreis passt. Allerdings wurde direkt bei der Gründung verabsäumt, eine vernünftige Holdingstruktur zu etablieren. Diese hätte einen Teil der nun entstehenden Steuerlast reduziert. Insbesondere die Reinvestition des Kapitals in eine neue Unternehmung wäre in der Holdingstruktur mit einer deutlich kleineren Zahlung an das Finanzamt möglich gewesen.

Weitere Beispiele:

• Die Marktaufsichtsbehörde, die ein Produkt wegen fehlender Risikoanalyse und/oder unzureichender Warenhinweise vom Markt nimmt. Es wird ein Bußgeld gegen ein Start-Up, einen Güterhändler, durch die zuständige Behörde (in Sachsen: Landesdirektion Sachsen) verhängt und gerichtlich bestätigt, wobei nicht nur die Geldbuße in Höhe von 5.000,00 EUR zu zahlen ist, sondern das Ganze auch noch unter Namensnennung auf der Behördenseite veröffentlich wurde nebst Eintrag ins Gewerbezentralregister.
• Der Mitarbeiter, der aufgrund fehlendem nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes das Unternehmen verlässt und direkt am Folgetag das Know-how, welches er im Kopf hat, einem Marktbegleiter zu teil werden lässt.
• Der lebenswichtige Großkunde, der die weitere Belieferung davon abhängig macht, dass ein wirksames Korruptionsbekämpfungssystem nachgewiesen wird, anderenfalls die Lieferbeziehung nicht aufrechterhalten werden kann.

Was ist zu tun?

Die Empfehlung lautet deshalb, gleich zu Beginn Corporate Governance und Compliance - neben der notwendigen Konzentration auf das Hauptprodukt - zu entwickeln und zu implementieren. Dabei geht es nicht um komplexe Compliance-Strukturen, die Bestellung eines hauptamtlichen Compliance Officer und die Verursachung von unangemessenen Kosten. Maßgeblich ist, die relevanten Risiken zu kennen, zu dokumentieren und ein angemessenes Compliance-Management zu betreiben. Die Kunst besteht darin, die größeren Risiken organisatorisch zu berücksichtigen und Schutzmaßnahmen einzupflanzen in das Start-Up-Pflänzchen um diese später zusammen mit dem gesamten Unternehmen nach oben zu skalieren.

Die Herausforderung ist dabei, das richtige Maß zu finden und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Wie geht man nun am besten vor?

Compliance funktioniert nur von oben. Die Unternehmensführung sollte sie als Teil der Werte des Unternehmens und als Teil der Kultur planen und leben. Das heißt dann neudeutsch: Tone from the Top. Eine Kultur der gegenseitigen Achtung und der Einhaltung von Regeln, die ihrerseits wiederum Werte wie Leben und Gesundheit, soziale Standards und Umweltschutz schützen, machen das Unternehmen für potentielle Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten attraktiv.

Steht die Kultur, so sollten sich die Verantwortlichen über die Ziele aller Compliance-Maßnahmen Gedanken machen und diese festschreiben. Klassisch sind dies die Vermeidung von finanziellen Nachteilen für die Organisation und die handelnden natürlichen Personen (Geschäftsführer) und Imagegewinn oder eben die Vermeidung von Reputationsverlust. Es schließen sich nunmehr Relevanzanalyse und Risikoanalyse an, das Themenfeld, in dem der juristische Berater sein Know-how einfließen lässt. Sodann werden Maßnahmen diskutiert, die die bestehenden Risiken reduzieren können.

Jedes minimierte Risiko ist von Beginn an ein Gewinn für das Start-Up.
Im Rahmen der Skalierung nach oben und Weiterentwicklung des Unternehmens sollte sodann, unternehmenskulturell verankert, das zunächst kleine und sparsame Compliance-System evaluiert und weiterentwickelt werden und zusammen mit dem Unternehmen wachsen.

So gemacht ergibt Compliance für Start Up´s Sinn und ebnet den Weg für eine nachhaltige und gesunde Unternehmensentwicklung.

Uwe Schmidt
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